Die deutsche Demokratie hat einen ausgeprägt illiberalen Zug. Berufsverbote, Parteienverbote, der Entzug des Wahlrechts: Der Staat kennt viele Sanktionen gegen Andersdenkende – und er nutzt sie.
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Wenn sich die Demokraten in eine Wagenburg zurückziehen, triumphieren ihre Gegner. In Deutschland passiert genau das. Die Parteien im Zentrum haben den Glauben verloren, mit Argumenten im Meinungskampf bestehen zu können. Deshalb bekämpfen sie die AfD und alle, die sie für Feinde der Demokratie halten, mit Verboten und anderen Zwangsmitteln.
In Rheinland-Pfalz will der Innenminister AfD-Mitglieder vom öffentlichen Dienst ausschliessen. Bewerber sollen erklären, dass sie weder der AfD noch einer anderen vom Inlandgeheimdienst als extremistisch eingestuften Organisation angehören. Ursprünglich wollte das Land nicht einmal eine Einzelfallprüfung, was eine eklatante Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien dargestellt hätte.
Gegen Andersdenkende vorzugehen, ist Alltag in Deutschland. Die SPD will ein Verbotsverfahren gegen die AfD einleiten, um die Partei aus den Parlamenten zu verbannen. Der Vorsitzende Lars Klingbeil bezeichnet das als «historische Aufgabe».
Die Obrigkeit lässt regelmässig Polizisten ausschwärmen, um im Internet begangene Delikte wie Volksverhetzung und Beleidigung zu ahnden. Wo eine Anzeige genügen würde, schlagen Bundeskriminalamt und Polizei mit Grossrazzien zu. Gerne frühmorgens, gerne mit der Beschlagnahmung von Handys und Computern. Es ist die reine Machtdemonstration.
Landesregierungen und Staatsanwaltschaften setzen auf Abschreckung. Dass diese nicht bei verwirrten Zeitgenossen und ihrer Droge Social Media haltmacht, demonstrierte der Staat auch mit dem Verbot der nationalistischen Zeitschrift «Compact».
Geht es nach dem Bundesinnenministerium, sind die erlaubten Meinungskorridore sehr eng. Es weht ein Ungeist des Verbots durch Deutschland.
Auffällig daran ist, dass die Zensur von Politik und Medien vor allem bei der Linken Anklang findet. Die Gesinnungsprüfung für den Staatsdienst möchte eine sozialdemokratisch geführte Landesregierung einführen. Auf Bundesebene schlagen die Sozialdemokraten mit ihrem Beschluss zur AfD in dieselbe Kerbe; das Zeitschriftenverbot sprach ebenfalls die SPD-Ministerin Nancy Faeser aus.
Erstaunlich ist das nicht. Es war ein SPD-Kanzler, der sozialdemokratische Säulenheilige Willy Brandt, der die Berufsverbote zusammen mit seinem liberalen Koalitionspartner ausheckte.
Mehr Demokratie wagen galt vor einem halben Jahrhundert nicht für Kommunisten, so wenig wie heute für Nationalisten.
Wenn sich der Staat bedroht fühlt, wird aus der Wagenburg scharf geschossen. Das Feigenblatt dafür ist die Floskel von der wehrhaften Demokratie, die es nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus zu verteidigen gelte.
Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) blieb in den siebziger Jahren bei Bundestagswahlen zuverlässig unter 0,5 Prozent. Weshalb sie eine Gefahr darstellen sollte, liess sich selbst beim besten Willen nicht mit dem Staatsterror der Nazis begründen.
Genauso wenig das Verbot von «Compact» – einer Zeitschrift also, deren Herausgeber seine abstrusen Ideen, damals noch rot lackiert, schon vor Urzeiten in der genauso randständigen linken Postille «Konkret» publizierte. Die ideologischen Ränder berühren sich. «Konkret» wurde wie die DKP von der Stasi finanziert.
Wenn von dem Narrensaum, für den der Extremismus eine Lebensform ist, tatsächlich eine Bedrohung ausginge, dann wäre die Demokratie nicht viel wert.
Der Radikalismus der Radikalismusbekämpfer erreicht das Gegenteil des Bezweckten. Aus der Abwehrschlacht gegen kommunistische Briefträger gingen die wehrhaften Demokraten beschädigt hervor. Sie stellten kleinlaut das Massen-Screening im öffentlichen Dienst ein, noch bevor die Ostberliner Hintermänner gestürzt wurden.
Der Schaden war da schon angerichtet. Die Gegner der offenen Gesellschaft wüteten gegen die angebliche staatliche Repression. Weil das eben nicht völlig an den Haaren herbeigezogen war, fiel die Propaganda bei mehr Deutschen auf fruchtbaren Boden, als die DKP in allen Jahren ihrer Existenz an Wählern zusammenbrachte.
Auch das Bundesinnenministerium holte sich mit der Zensur von «Compact» eine blutige Nase. Das Bundesverwaltungsgericht hob das Verbot auf, obwohl es der Zeitschrift umstürzlerische Bestrebungen attestiert. Doch ein Verbot sei nur dann verhältnismässig, «wenn sich die verfassungswidrigen Aktivitäten als prägend erweisen».
Einzelne Artikel genügen nicht, um ein Medium zu verbieten. Angesichts dieser Hürde ist es schleierhaft, wieso die SPD glaubt, das Verfassungsgericht werde die AfD verbieten. Auch hierfür muss die Verfassungsfeindlichkeit der ganzen Partei nachgewiesen werden. Genau das konnte der Inlandgeheimdienst in seiner tausendseitigen Fleissarbeit zur AfD nicht.
Die Missbrauchsgefahr bei solchen Gefälligkeitsgutachten ist hoch. Aus guten Gründen ist daher in der Schweiz der Einsatz des Nachrichtendienstes gegen Andersdenkende auf das absolute Minimum beschränkt.
So ist die Formulierung «gesichert rechtsextremistisch» eine bewusste Irreführung. Gemessen an den richterlichen Anforderungen ist der verfassungsfeindliche Charakter der Partei in ihrer Gesamtheit nämlich alles andere als gesichert. Die Schlapphüte trugen im Wesentlichen radikale Äusserungen einzelner AfD-Vertreter zusammen.
Würden einzelne Stimmen für ein Verbot ausreichen, bestünden auch Zweifel an der Verfassungstreue der Grünen.
So machte sich die Vorsitzende ihrer Jugendorganisation die Slogans «Eat the rich» und «All cops are bastards» zu eigen. Dabei geniessen die Eigentumsordnung und die staatlichen Organe einen besonderen Schutz – von dem impliziten Aufruf zum Mord an «Reichen» ganz abgesehen.
Die Demokratieverteidiger messen mit zweierlei Mass, je nachdem ob extremistische Parolen von rechts oder von links vertreten werden. Dem hält das Bundesverwaltungsgericht eine fundamentale Einsicht entgegen. Es erklärte, man vertraue auf die «Kraft der freien gesellschaftlichen Auseinandersetzung».
Darauf vertrauen die etablierten Parteien nicht mehr, seit AfD und Linkspartei mehr als ein Drittel der Mandate im Bundestag besitzen. Sie hat eine mit der Sorge um die Demokratie kaschierte Existenzangst gepackt.
Die freie gesellschaftliche Auseinandersetzung ist die Essenz jeder Demokratie. Sie beruht auf dem Vertrauen in die Vernunft des Volkes. An der Urteilskraft des Demos zweifeln die Funktionseliten seit je. Das ist in den meisten demokratischen Staaten so. Nirgends haben die Zweifel aber so tiefe Spuren hinterlassen wie in der Bundesrepublik.
In dieser Hinsicht trägt das Grundgesetz durchaus autoritäre Züge, denn das Parteiverbot ist nur der gröbste Hammer in der Werkzeugkiste.
Verfassungsfeinden kann auch das passive Wahlrecht entzogen werden. Natürlich bleibt das keine Theorie. Verfassungsrechtler fordern, diese Vorschrift auf den AfD-Politiker Björn Höcke anzuwenden – als vermeintlich verhältnismässige Sanktion.
Die Geschichte der deutschen Demokratie ist auch eine Geschichte des Misstrauens gegenüber den Bürgern. «Das Volk, der grosse Lümmel» – das wusste schon Heinrich Heine. Seinen feinen und deshalb umso zersetzenderen Spott müsste das Innenministerium eher auf den Index setzen als die grobschlächtigen «Compact»-Tiraden.
Den Wählern billigt man eine Grundimmunität weder gegenüber kommunistischen noch gegenüber nationalistischen Ideologien zu. Demokratie ist nur in betreuter Form denkbar.
Wirklich frei kann die Auseinandersetzung nicht sein, weil im Namen der Wehrhaftigkeit die Aufpasser – Innenministerien, Polizei und Geheimdienste – stets mitgedacht werden.
Beständig wird vor Viktor Orbans illiberaler Demokratie in Ungarn gewarnt. Die illiberalen Elemente in der eigenen Verfassung sind den wenigsten Deutschen bewusst.
Doch dieses System steht vor dem Kollaps. Weil mindestens jeder fünfte Deutsche die AfD wählt, befindet sich die wehrhafte Demokratie in der Sinnkrise.
Ein Verbot der Partei hiesse, einem substanziellen Teil des Volkes die politische Teilhabe zu verweigern. Von der Volksherrschaft bliebe eine Schwundform ohne echte Legitimität übrig. Wahlen verkämen zur Farce. Es wäre das Ende der Bundesrepublik, wie wir sie kennen. Selbst im Kalten Krieg wurde die Splittergruppe DKP nicht verboten.
Oder die Parteien der Mitte, allen voran die Union, arrangieren sich mit dem Störenfried. Das wollen sie partout vermeiden. Ratlos sitzen sie in ihrer Wagenburg. Greifen sie in ihrer Verzweiflung zu mehr Repression, stirbt die Demokratie nicht mit einem lauten Knall, sondern leise und scheibchenweise. Siegt hingegen die Vernunft, hat sich die ganz dem Geist der Nachkriegszeit verpflichtete wehrhafte Demokratie überlebt.
Was wir gegenwartig beobachten koennen ist natuerlich keine deutsche Verfassungskrise sondern bloss verkorkste Parteitaktik im konservativen Lager.
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Jede Nation hat ihr eigenes Trauma, welches den Blick der Menschen auf die heutige Realität versperrt. Bei den Briten ist es das Empire, bei den Russen die Sowjetunion und bei uns der Nationalsozialismus. Und es ist erstaunlich, wie sehr sich eine ganze Nation auf dieser Basis immer wieder an der Nase herumführen lässt. Die Briten sind (auch) deswegen aus der EU ausgetreten. Welche Gefahr besteht denn, dass in Mecklenburg-Vorpommern Konzentrationlager gebaut werden und eine Legion der Bundeswehr Spanien bombardiert? GAR KEINE! Linke Kreise - bis in die CDU hinein - schüren dieses Narativ doch nur deshalb, weil sie damit einen politischen Gegner bekämpfen. Das eigentliche Problem ist dabei der ÖRR, der diese Propaganda verbreiten darf.